Die ME/CFS-Liegenddemo in Köln

12 von 12 am ME/CFS Awareness Day – Eindrücke von der Liegenddemo in Köln

Heute ist ME/CFS Awareness Day. Deshalb möchte ich diesen „12 von 12“-Beitrag nutzen, um mehr Aufmerksamkeit für diese oft unsichtbare und schwerwiegende Erkrankung zu schaffen.

Ich selbst bin „nur“ mild betroffen – doch auch das ist alles andere als leicht. Ich kann nicht Vollzeit arbeiten, keinen Sport treiben, keine Konzerte mehr besuchen, abends nicht ausgehen und habe eigentlich ständig Schmerzen – zusätzlich zur chronischen Erschöpfung. Und ich lebe mit der ständigen Angst, dass der nächste Virusinfekt mich vollständig ans Bett fesseln könnte.

Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf – sondern bleibe chronisch optimistisch.

Ankunft bei der Liegenddemo in Köln

Bei schönstem Wetter machte ich mich gestern auf den Weg zum Alter Markt in Köln, wo die sogenannte Liegenddemo stattfand. Die Bilder stammen also vom Vortag – heute gäbe es von mir nur ein Foto wie Bild 12: vom Sofa aus.

Ankunft bei der Liegenddemo in Köln

Warum heißt sie Liegenddemo?

Sie heißt Liegenddemo, weil viele Teilnehmerinnen auf Isomatten liegen – stellvertretend für die schwer Erkrankten, die ihr Bett kaum oder gar nicht mehr verlassen können. Vor Ort waren sowohl Betroffene wie ich als auch Angehörige und Freundinnen. Die Polizei sprach von über 400 Teilnehmer*innen!

Warum heißt sie Liegenddemo?

Gedenken an Verstorbene

Dieses Herz hat mich besonders bewegt – es erinnert an Menschen, die an ME/CFS gestorben sind oder den Freitod gewählt haben, weil sie ihre Situation nicht mehr ertragen konnten.

Gedenken an Verstorbene

Medikamente – Nicht mehr als Symptomlinderung

Hier sind Medikamente aufgelistet, die zumindest teilweise Linderung verschaffen können – allerdings nur Off-Label. Das heißt: Die Kosten müssen selbst getragen werden, und viele Hausärzt*innen verschreiben sie nicht.

Medikamente – Nicht mehr als Symptomlinderung

Kreativer Protest auf vielen Schildern

Einige der Schilder waren unglaublich kreativ gestaltet – es tat gut, so viele starke und sichtbare Stimmen zu sehen. Auch gab es viele berührende Schilder, mit Namen, Fotos und sogar Gemälden der Schwerstbetroffenen, für die die Angehörigen und Freunde da waren.

Kreativer Protest auf vielen Schildern

Vielfältiges Programm mit Tiefgang

Auch das Programm war hervorragend: eine Mischung aus Kurzfilmen, Live-Vorträgen und Interviews.

Vielfältiges Programm mit Tiefgang

Starker Vortrag von Dr. Kacik

Dr. Kacik hielt einen besonders wichtigen Vortrag – an das Publikum vor Ort genauso wie an die Menschen in den umliegenden Kneipen und Cafés, die ME/CFS vielleicht noch gar nicht kannten. Er sprach über Behandlungsmöglichkeiten, forderte mehr Forschung – und vor allem politischen Einsatz.

Starker Vortrag von Dr. Kacik

ME/CFS ist keine psychosomatische Erkrankung

Ein zentraler Punkt seines Vortrags: ME/CFS darf nicht länger psychologisiert oder psychosomatisiert werden. Leider passiert das viel zu häufig. Auch ich wurde lange missverstanden – ein massives PEM wurde als Burnout abgetan. Vor zwei Jahren meinte eine neue Ärztin sogar, ich sei ja „eine psychosomatische Patientin“ und deshalb müsse man meine Schmerzen nicht ernst nehmen …

ME/CFS ist keine psychosomatische Erkrankung

Der stille Liegenteil – ein bewegender Moment

Für mich der bewegendste Moment: Der eigentliche Liegenteil der Demo. Für 15 Minuten legten sich alle hin, die konnten – als Zeichen für die Menschen, die dauerhaft ans Bett gebunden sind. Es lief leise Musik, und auch die Gespräche wurden leiser. Es war eine stille, eindringliche Erinnerung an die Realität vieler Schwerstbetroffener.

Der stille Liegenteil – ein bewegender Moment

Ungeplanter Moment mit Dr. Benecke

Mein persönliches Highlight – auch wenn ich davon kein Foto habe. (Deshalb seht ihr hier ein T-Shirt von der Demo.)

Während des Liegenteils wollte ich mich still zur Toilette schleichen – und lief direkt Dr. Mark Benecke in die Arme. Ich hatte mir vorgenommen, ihm mein Buch „chronisch optimistisch“ zu geben. Also sprach ich ihn an.

Er wollte sofort ein Interview mit mir machen – und ich brach erstmal in Tränen aus, weil mich die Emotionen überrollten. Danach konnte ich aber doch noch sprechen, erzählte ihm von den Nikotinpflastern – und er war so beeindruckt, dass er mein Buch annahm und sogar einige Zeilen daraus vorlas.

🎥 Zu sehen ist mein verheultes Buchmarketing ab Minute 5:30:
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Ungeplanter Moment mit Dr. Benecke und ein T-Shirt mit der Aufschrift: ME/CFS kills!

Ein Zeichen der Menschlichkeit und klare Worte

Dr. Benecke gab anschließend ein sehr bewegendes Interview. Er sagte, er habe noch nie erlebt, dass Angehörige 1:1 stellvertretend für die Schwerstbetroffenen demonstrieren – für ihn ein Zeichen echter Menschlichkeit, gerade in einer Zeit, in der diese oft zu kurz kommt.

Er sprach außerdem über den immensen wirtschaftlichen Schaden, den ME/CFS verursacht: Über 60 Milliarden Euro im letzten Jahr – allein in Deutschland! Ein wichtiger Hinweis, den wir als Betroffene immer wieder betonen sollten. Denn wir verschwinden nicht einfach aus dem Leben – wir werden vermisst, auch volkswirtschaftlich. Hier der Link zur Studie …

Ich selbst bin ein Beispiel dafür. Jetzt, wo mein Sohn älter ist, könnte ich theoretisch wieder Vollzeit arbeiten. Aber eben nur theoretisch. Ich konnte meine Stunden im letzten Jahr auf 30 pro Woche erhöhen – aber nur durch viel Homeoffice. Mehr geht nicht, obwohl ich meine Arbeit als Content-Managerin liebe.

Ein Zeichen der Menschlichkeit und klare Worte

Der Tag danach – Erholung auf dem Sofa

Ich musste etwa eine halbe Stunde vor Schluss gehen. Die Aufregung, die Emotionen, das Sitzen, der Lärm – es wurde einfach zu viel. Am Kölner Hauptbahnhof konnte ich die Geräusche und Menschenmassen kaum ertragen. Ich hatte Kopf-, Rücken- und Beinschmerzen – und dieses grausame innere Vibrieren, das mir sofort sagt: Jetzt ist Schluss.

In weiser Voraussicht hatte ich mir für heute frei genommen. Das war Gold wert – allein zu wissen, dass ich nichts leisten muss, war schon entlastend.

Also verbringe ich den Tag nun auf dem Sofa. Ich schaue „Charmed“-Wiederholungen und sticke ein mittelalterliches Eulenmotiv zur Übung – zwei der Stiche musste ich dafür erst neu lernen.

Der Tag danach – Erholung auf dem Sofa

Einen Bericht zur Liegenddemo in Berlin kannst du bei Anke Stadelbauer lesen – sie ist leider selbst so stark betroffen, dass sie selber nicht hingehen konnte. Aber sie hatte gleich 9 Stellvertreter dort, was ich toll finde.

9 Kommentare

  1. Liebe Julia, ich finde es toll, dass du diese Challenge für dieses Anliegen nutzt ( sonst ärgere ich mich, wenn nicht der Tag dokumentiert wird, sondern ein persönliches Anliegen oder Geschäft )! Es muss einfach viel mehr Menschen auf den Schirm gebracht werden und damit auch der Gesellschaft bzw. Politik & Forschung. Ich leide mit mit meiner 17jährigen Nachbarin, ihren Eltern, Schwestern, Großeltern, denen die Souveränität über ihr Leben genommen ist durch eine sehr schwere Form der Krankheit. Ich leide mit meiner Nichte, die aufgrund von ME/CFS in ihrer ganzen Lebensplanung gestoppt worden ist. Deshalb war ich gestern auch mit Veedels-Nachbarn dort. Du hast mich auch auf dem 2. Foto sitzend „erwischt“ ( ich hatte Angst, dass ich hinterher nur mit viel Hilfe aufstehen kann; aber bei mir ist es das Alter und lädierte Knochen ). Den Vortrag von Dr. Kacic fand ich großartig, habe viel gelernt, viel begriffen und viele Argumentationshilfen bekommen. Ich gehe seit meiner Jugend auf diverse Demos, aber das war die erste, auf der ich immer wieder geweint habe. Da musste ich auch wie du früher die Reißleine ziehen und gehen, habe also deinen Beitrag verpasst.
    Mein „Bericht“ kommt am Samstag im Rahmen meines Kalenderwochenposts auf meinem Blog.
    Ich wünsche dir alles Gute, vor allem auch das Gefühl, nicht vergessen zu sein ( was meine Nichte immer so fürchtet )!
    Herzlich
    Astrid

    • Liebe Astrid,
      ganz herzlichen Dank für deinen wunderbaren Kommentar – er hat mich sehr berührt! Wie schön, dass du da warst und mit so viel Mitgefühl und Engagement dabei bist. Gerade auch für deine Nachbarin und deine Nichte – das ist unglaublich wertvoll. Und wie toll, dass du sogar auf meinem Foto gelandet bist! Ich finde es großartig, dass du dich trotz eigener Einschränkungen auf den Weg gemacht hast.

      Ja, der Vortrag von Dr. Kacik war wirklich eindrücklich – ich habe auch so viel daraus mitgenommen. Und diese Mischung aus Informationsdichte und Emotionen hat mich ebenfalls sehr mitgenommen … gut zu hören, dass ich mit meinem frühen Aufbruch nicht allein war.

      Ich freue mich schon auf deinen Blogbeitrag am Samstag – danke, dass du auch dort dieses wichtige Thema weiterträgst. Und dein letzter Satz hat mich besonders bewegt: Das Gefühl, nicht vergessen zu sein, ist so zentral. Danke, dass du daran erinnerst.

      Alles Liebe
      Julia

  2. Danke für diesen Beitrag. Es betrifft mich auch, obwohl ich keine Diagnose hab, denn ich würde den Ärztemarathon – die unzähligen Bus-und Bahnfahrten sowie die Fuszwege bis hin zu den Praxen und retour – nie schaffen. Bleib ich eben still zuhaus. Tue was geht. Oft nicht viel.
    Es begann nach einem Pfeifferschen Drüsenfieber mit 32 Jahren und hörte nie wieder auf, auch wenn es mal besser und mal schlechter war, inzwischen nur noch schlechter.
    Liebe Grüsze
    Mascha

    • Liebe Mascha,
      vielen Dank für deine offenen Worte. Es tut mir sehr leid zu lesen, wie lange du schon mit diesen Symptomen lebst – und wie sehr dich der Alltag einschränkt. Dieses „still zuhaus bleiben“ und einfach nur tun, was eben gerade geht, ist leider so typisch … und doch bleibt es oft unsichtbar.

      Der Ärztemarathon ist für viele von uns kaum zu bewältigen – ich verstehe so gut, dass du ihn nicht gehen kannst. Es macht mich wütend, dass gerade die Menschen, die Hilfe am nötigsten hätten, so viele Hürden überwinden müssten.

      Ich wünsche dir von Herzen Kraft für deinen Weg – und dass du Gehör findest, ohne kämpfen zu müssen.
      Liebe Grüße
      Julia

    • Vielen lieben Dank für deinen Kommentar und die guten Wünsche!
      Ich freue mich sehr, dass der Beitrag dir neue Einblicke geben konnte – mir ging es ähnlich: Auch für mich war es die erste Liegenddemo, und sie hat mich tief bewegt. Es war beeindruckend zu erleben, wie viel stille Kraft von so einer Aktion ausgeht.

      Alles Gute dir und herzliche Grüße
      Julia

  3. Liebe Julia, vielen Dank für deine Eindrücke!
    Ich hatte die gleiche Idee und habe über die LiegendDemo in Berlin berichtet. Dass der 12. Mai ME-Awareness-Day ist, habe ich als Anlass genommen, endlich einmal bei 12 von 12 mitzumachen!
    Und da hab ich dich entdeckt! Ich habe dich in meinem Artikel verlinkt. Vielleicht magst du ja mal schauen: https://ankestadelbauer.de/12-von-12-liegenddemo-berlin-mecfs-awareness-2025/

    Toll, dass du vor Ort sein konntest. Ich habe nur über Zoom teilgenommen (und das auch nur zur Hälfte) und bin trotzdem gecrashed.

    Liebe Grüße und weiter gute Erholung! Anke

    • Liebe Anke,
      vielen lieben Dank für deinen Kommentar – und für den Link in deinem Beitrag! Ich habe direkt reingelesen und fand es sehr schön, deine Perspektive aus Berlin mitzuerleben. Toll, dass du 12 von 12 auch für dieses wichtige Thema genutzt hast – ich habe dich inzwischen ebenfalls in meinem Beitrag verlinkt.

      Ich hoffe sehr, dass du dich gut erholen kannst und der Crash nicht zu heftig war. Zoom allein kann ja schon zu viel sein – umso mehr danke, dass du trotzdem dabei warst und auf deine Weise Sichtbarkeit geschaffen hast.

      Ganz liebe Grüße und alles Gute
      Julia

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