Leben mit chronischer Erschöpfung

Energiemanagement im Alltag: Leben mit chronischer Erschöpfung

Die letzten Wochen waren bei mir geprägt von Vorbereitung und Recherche zum Thema PEM (Post-Exertional Malaise) für meine Blogreihe zum ME/CFS-Tag. Nach intensiver Beschäftigung mit diesem Kernaspekt von ME/CFS möchte ich heute einen Schritt zurücktreten und über etwas sprechen, das für viele von uns mit chronischen Erkrankungen eine tägliche Herausforderung darstellt: Die chronische Erschöpfung und wie wir trotz dieser Einschränkung ein erfülltes Leben führen können.

Denn unabhängig davon, ob wir an ME/CFS, Fibromyalgie, Multipler Sklerose, Long Covid, Rheuma oder anderen chronischen Erkrankungen leiden – die Erschöpfung ist oft ein ständiger Begleiter, der uns zwingt, unser Leben neu zu gestalten.

🌟 Erschöpfung verstehen: Mehr als nur Müdigkeit

Vielleicht kennst du diese Situation: Du versuchst jemandem zu erklären, wie es sich anfühlt, chronisch erschöpft zu sein, und erhältst die Antwort: „Ja, ich bin auch oft müde.“ Aber chronische Erschöpfung ist etwas komplett anderes als normale Müdigkeit.

Normale Müdigkeit verschwindet nach ausreichend Schlaf oder Ruhe. Chronische Erschöpfung hingegen ist wie ein dauerhafter Energiemangel, der sich durch Ruhe zwar verbessern, aber nicht vollständig beheben lässt. Es ist, als ob die Batterien unseres Körpers nie über 30% Ladung hinauskommen, egal wie viel wir schlafen oder uns ausruhen.

Diese Erschöpfung betrifft nicht nur unsere körperliche Energie, sondern auch unsere kognitive und emotionale Kapazität:

  • Körperliche Erschöpfung: Selbst alltägliche Aufgaben wie Duschen oder Einkaufen können zu einer Herausforderung werden
  • Kognitive Erschöpfung: Konzentrationsprobleme, Wortfindungsstörungen, Schwierigkeiten beim Planen
  • Emotionale Erschöpfung: Weniger Belastbarkeit bei emotionalen Situationen, schnellere Reizbarkeit oder Überwältigung

Jeden Tag stehen wir vor der Herausforderung, mit begrenzten Ressourcen umzugehen – wie ein Smartphone mit einem Akku, der nie vollständig aufgeladen werden kann.

Ein leerer Akku auf einem Unterarm gemalt

💡 Das Sparbuch-Prinzip: Energiehaushalt neu denken

Über die Jahre habe ich gelernt, meine Energie wie ein Sparbuch zu betrachten. Ich habe nur ein begrenztes Budget zur Verfügung, und ich muss sorgfältig überlegen, wofür ich es ausgebe.

Was mir besonders geholfen hat: Ich betrachte Energie nicht mehr als etwas, das ich „aufbrauchen“ kann, wenn ich einen guten Tag habe. Stattdessen sehe ich gute Tage als Chance, Energie zu sparen und einen kleinen Puffer aufzubauen.

Hier sind einige Strategien, die mir dabei helfen, meinen Energiehaushalt besser zu managen:

1. Die Prioritäten-Matrix

Ich teile meine Aktivitäten in vier Kategorien ein:

  • Essentiell und energieraubend: Diese Dinge müssen getan werden, kosten aber viel Kraft (z.B. Arztbesuche)
  • Essentiell und energieschonend: Notwendige Aufgaben, die wenig Energie kosten (z.B. leichte Mahlzeiten zubereiten)
  • Nicht essentiell, aber energiespendend: Aktivitäten, die mir Freude bereiten und mich emotional aufladen (bei mir vor allem Sticken)
  • Nicht essentiell und energieraubend: Diese Dinge versuche ich zu minimieren oder zu delegieren

2. Die Mikro-Dosis-Methode

Anstatt eine Aktivität komplett aufzugeben, reduziere ich sie auf kleine, verdauliche Portionen:

  • 5 Minuten Gartenarbeit statt einer Stunde
  • Ein kurzer Spaziergang um den Block statt eines langen Ausflugs
  • 10 Minuten kreatives Schreiben statt eines ganzen Kapitels

Diese „Mikro-Dosen“ ermöglichen es mir, Dinge zu tun, die mir wichtig sind, ohne meine Energiereserven zu erschöpfen.

Auch beim Spaziergehen die Pausen nicht vergessen!

3. Die strategische Ruhe

Ich habe gelernt, dass präventive Ruhe effektiver ist als erzwungene Erholung nach einer Erschöpfung. Deshalb plane ich bewusst Ruhephasen ein, bevor ich sie dringend brauche:

  • Nach einer anstrengenden Aktivität plane ich einen Tag ohne Termine ein. Ich bin heute z. B. auf der Liegend-Demo in Köln und habe mir deshalb den Montag freigenommen. 
  • Während längerer Arbeiten lege ich nach 25-30 Minuten eine kurze Pause ein
  • Vor besonderen Ereignissen sorge ich für extra Ruhetage zur Vorbereitung

4. Das Energie-Tagebuch

Über mehrere Wochen habe ich ein Tagebuch geführt, in dem ich meine Aktivitäten und meinen Energielevel festgehalten habe. Dadurch konnte ich Muster erkennen:

  • Welche Aktivitäten erschöpfen mich besonders?
  • Gibt es bestimmte Tageszeiten, zu denen ich mehr Energie habe?
  • Welche Erholungsstrategien helfen mir am besten?

Diese Erkenntnisse haben mir geholfen, meinen Alltag besser auf meine Energieschwankungen abzustimmen.

☕️ Die kleine Auszeit

Nimm dir 5 Minuten Zeit und frage dich: Welche drei Aktivitäten in deinem Alltag kosten dich am meisten Energie? Gibt es Möglichkeiten, diese Aktivitäten anzupassen, zu reduzieren oder zu delegieren?

💝 Praktische Umsetzung

Hier sind drei konkrete Schritte, die du diese Woche umsetzen kannst:

1. Die Energie-Inventur

  • Führe für 3-5 Tage ein einfaches Energie-Tagebuch
  • Notiere deine Aktivitäten und bewerte deinen Energielevel auf einer Skala von 1-10
  • Markiere Tätigkeiten, die dich besonders erschöpfen oder die dir Energie geben

2. Die Küchentimer-Methode

  • Wähle eine anstrengende Aktivität, die du regelmäßig machst
  • Setze einen Timer auf 25 Minuten (oder weniger, je nach deiner Energie)
  • Mache danach eine bewusste 5-10 minütige Pause, bevor du weitermachst

Diese Methode nennt man auch Pomodoro-Technik, weil der Erfinder sie mit einer Küchenuhr in Form einer Tomate als erstes ausprobiert hat. 

Die Küchenuhr der Pomodoro-Technik

3. Der Energie-Notfallplan

  • Erstelle einen Plan für Tage, an denen deine Energie besonders niedrig ist
  • Liste minimale „Muss“-Aktivitäten auf
  • Sammle einfache, wenig anstrengende Tätigkeiten, die dennoch ein Gefühl von Erfolg vermitteln

Egal mit welcher chronischen Erkrankung wir leben – ein bewusstes Energiemanagement kann uns helfen, trotz Einschränkungen ein erfülltes Leben zu führen.

Achte gut auf dich – jede gesparte Energieeinheit ist ein kleiner Sieg!

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